Kurztexte – Teil I

Bekanntermaßen veröffentlichen wir auf dem Blog meist unsere ausführlichen Artikel, Stellungnahmen oder Redebeiträge. Wer unsere anderen Social-Media-Auftritte bei Facebook und Instagram verfolgt, weiß, dass wir auch immer mal wieder kurze Texte schreiben. Aufgrund des Aufwandes beim Blog haben wir uns jetzt entschieden, diese ab sofort in unregelmäßigen Abständen gebündelt und nicht nachträglich einzeln hochzuladen. Wenn es uns notwendig erscheint, werden wir bei dem ein oder anderen nochmals einige Zeilen zur Einordnung beifügen.

Pirna lädt auch alle zum Gespräch – 26. Juni 2023

Am 23. April fand die vierte Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Pirna im Gespräch“ statt. Dabei handelt es sich um ein gut zweistündiges Format, das Gesprächsrunden, sowie jeweils ein Inputreferat und eine Podiumsdiskussion beinhaltet. Thematisch arbeiten sich die Organisatoren an den einzelnen Artikeln des Grundgesetzes ab. Wie bereits erkennbar ist, geht es vor allem um einen Rahmen auf die gesellschaftliche Polarisierung zu reagieren. Und wie so oft handelt es sich letztlich aber meist um ein interessiertes Umkreisen der eigenen Position und Rückversicherung, insbesondere in Zeiten, in denen die Moral und nicht das Argument den Ton angibt. Dies wurde bei der vierten Veranstaltung etwas aufgebrochen, in der der Themenkomplex Grundgesetz und Klima, dem jetzigen Dauerbrenner der Freunde eines globalen Thermostats, behandelt werden sollte.

Tatsächlich wäre ein solches als Diskussion gelabeltes bürgerliches Selbstgespräch des sich als progressiv sehenden Teils des Mittelstands keine größere Erwähnung wert. Über diese neue Klasse wurde die letzten Jahre alles Nennenswerte gesagt. Dazu gehört ebenso, abgesehen von dem immer wieder verzapften hanebüchenen Unsinn, dass deren Apologeten in Herrschaftspositionen real auf das Leben der Staatsbürger einwirken.

Wie dies noch unterlaufen werden konnte, kann daran abgelesen werden, dass ausgerechnet die Dresdner Sprecherin der jetzigen konformistischen Rebellionsavantgarde Aimeé van Baalen es immerhin noch vermochte, die Soziale Frage in der integrierten Podiumsdiskussion einzuholen. Damit blieb die Vertreterin der „Letzten Generation“ letztlich auf weiter Flur alleine.

So weit so banal, wäre da nicht der Umstand, dass man dann bereits beim Betreten des Veranstaltungsraums im Uniwerk Pirna daran erinnert wurde, nicht in einer der Hochburgen der Berliner Republik zu leben, sondern in Sachsen. So war auch allerhand Hackfressen versammelt, vermutlich, weil der Auftritt van Baalens als Reizfigur auch über die Presse hochgejazzt wurde, u. a. in der Sächsischen Zeitung. Dementsprechend fand sich unter den unappetitlichen Personen, denen man in anderen Einrichtungen allein aus Sicherheitsgründen der anderen Anwesenden mit dem Hausrecht gekommen wäre, auch Max Schreiber, seines Zeichens Dauerrödler der Freien Sachsen, dem neuen Sammelbecken für Völkische und andere Gestalten. Dass dieser bereits in jüngerer Vergangenheit auch gewalttätig aufgefallen ist,[1] dürfte Leuten mit Affinität für die Sozialen Medien bekannt sein. Allein, weil er selbst mit einem Sendungsbewusstsein hausieren geht, das an Uwe Leichsenring (ehemaliger NPD-Abgeordneter) erinnert. Hinzu kommt, dass Schreiber sich bei der Veranstaltung in der Fragerunde eben als „Abgeordneter“[sic!] [2] der Freien Sachsen mit vollem Namen bei der Veranstaltung vorgestellt hatte. Anstelle spätestens jetzt vom Hausrecht Gebrauch zu machen, blieb man dem sächsischen Weg treu, auch noch mit dem letzten Dulli das Gespräch zu suchen, der auch nur seine dummreaktionäre Spießeransicht zum Besten geben kann. Dies hat in Pirna Tradition, wie das Gespräch von Michael Kretschmer mit einem Aluhutträger auf dem Obermarkt während der Coronazeit verdeutlicht.[3]

Dass es gerade bei derartigen Veranstaltungen noch nie weit her war mit Schutzkonzepten, ist in der Region auch keine neue Erkenntnis, zeigt aber, dass es doch gewisse Kontinuitätslinien seit Anfang der 2000er-Jahre in dieser Problematik gibt. Tatsächlich verkennt dies das vorhandene Gewalt- und Eskalationspotenzial, den gerade der Angriff Schreibers auf einen Journalisten in Laubegast zeigt, sondern bekommt in der ehemaligen Hochburg der „Skinheads Sächsische Schweiz“ noch ein besonderes Geschmäckle im Sachsensumpf, zumal selbst bei juristischer Verfolgung einen nur der staatliche Samthandschuh trifft – auch eine sächsische Tradition.


[1] Vgl. ART Dresden: Angriff auf Journalist*innen in Dresden Laubegast – Angreifer sind bekannte Neonazis, 20.03.2022, online: https://naziwatchdd.noblogs.org/post/2022/03/20/angriff-auf-journalistinnen-in-dresden-laubegast-angreifer-sind-bekannte-neonazis/ [zuletzt aufgerufen am 15.09.2023. Dies gilt auch für alle weiteren Links in diesem und den weiteren Kurztexten].

[2] Er denkt, dass er im Heidenauer Stadtrat sitzt oder so.

[3] Siehe Decker, Markus: Kretschmer und Verschwörungstheoretiker: Warum begibt er sich auf dieses Niveau, in: RedaktionsNetzwerk Deutschland, 22.05.2020, online: https://www.rnd.de/politik/verschworungstheoretiker-nicht-uberbewerten-7NYFMW45AFBFPGT7445TK3E4X4.html



Pirna kämpft für die Kunstfreiheit – oder macht halt Pirnaer Sachen – 2. Juli 2023

Unsere Genossen von der bonjour tristesse aus Halle haben richtigerweise darauf hingewiesen, wie ungerecht die (Kunst-) Welt doch sei: Immerhin wurde einem lokalen Graffiti Künstler der Ruhm nicht zu teil, den das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi in Kassel erlangte. Dabei nahmen sich die „Kunstwerke“ von ihrer antisemitischen Bildsprache nicht viel, die weder die Verantwortlichen in Kassel noch die lokale Kunstszene in Halle erkennen wollten.[1]

Nun hat jedenfalls auch Pirna seinen provinziellen „Kunst“skandal. Zum diesjährigen Tag der Kunst mit dem vielsagenden Thema „Zwischenwelten“ war ein „Kunstwerk“ von Christopher H. Simpson zu sehen – im öffentlichen Stadtbild. Das Machwerk, welches eher die lokale Bildsprache adaptiert und weniger auf „Globalisierungskritik“ macht, blieb glücklicherweise nicht unwidersprochen. Die Stadt entschied sogar, dass das Bild abgehängt werden muss.

So weit, so gut, hätte man meinen können. Doch der hiesige Kunstverein, vertreten durch die Vorsitzende Brigitte M. Arnold, wollte noch deutlich machen, dass Pirna auch ohne die Stimmen des sogenannten „Globalen Südens“ im 21. Jahrhundert angekommen ist. Zunächst empfindet sie das Bild nur als kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen, es würden ja nur Regime mit ihren Symbolen nebeneinandergestellt und im Gespräch mit der Stadt entschied man ganz zeitgemäß: „Das Bild soll in einem Rahmen gezeigt werden, der eine kritische Einordnung und Diskussion zulässt“, wie es in der Sächsischen Zeitung heißt.[2] Statt also den Dreck, der hier als Kunst verhandelt wird, einfach abzuhängen, soll ein „kritischer Dialog“ geführt werden. Das scheint die gezogene Lehre aus der Documenta zu sein. Ob dafür jetzt der notorische Meron Mendel eingeladen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Mit dieser „verlockenden“ Aussicht war die Lokalposse aber noch nicht beendet. Der Kunstverein fühlte sich scheinbar nicht nur in seiner Ehre gekränkt, sondern schritt weiter zur Tat. Wie die Großen in Kassel zog man im Kampf für die vermeintliche Kunstfreiheit alle Register. Zum einen wurde das Bild trotzdem einfach im wahrsten Sinne des Wortes ausgestellt (und zwar auf dem Boden) und zum anderen machen es die künstlerischen Freiheitskämpfer (ähnlich dem Corpus delicti) nicht ohne NS-Analogien, man setzte sich für die als „Entartet deklarierten“ Künstler ein. Aber auch das blieb glücklicherweise nicht unwidersprochen.


[1] Vgl. Tiedtke, Otto: Halles unentdeckte Documenta. Über einen ausgebliebenen Antisemitismusskandal, in: bonjour tristesse, online: https://bonjourtristesse.wordpress.com/2022/10/07/halles-unentdeckte-documenta-uber-einen-ausgebliebenen-antisemitismusskandal/

[2] Sabel, Heike: Pirna: Straßengalerie-Bild mit Verschwörungssymbolik entfernt, in: Sächsischen Zeitung, 30.06.2023, online: https://www.saechsische.de/pirna/kultur/pirna-strassengalerie-bild-maler-kunst-kultur-entfernt-5878743-plus.html



Die Fahne des Anstoßes – 14. August 2023

Zur Wichtigtuerei, zum Einheimsen des zustimmenden Schulterklopfers oder zur eigenen Selbstbeweihräucherung die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern zu zeigen, war noch nie unsere Sache. Dass es dennoch mehr als genug gute Gründe gibt, sie aus dem Schubfach zu holen und auf Kundgebungen oder Demos zu nehmen, steht außer Frage. Es scheint so, als würde es auch in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden wieder mal nötig sein.

In einer Zeit, in der der sogenannte Nahostkonflikt kaum noch innerhalb der deutschen Linken gelöst und ausgetragen wird, in einer Zeit, in der das neue Spaltungsthema mit all seinem Rattenschwanz eher die Frage Queer vs. Radfem ist, in genau dieser Zeit holen Dresdner Gruppen wieder einen Satz aus den Geschichtsbüchern, den man lange nicht mehr auf Ankündigungen gelesen hat: das altbekannte Verbot von Nationalfahnen.

Während in diesem Jahr die Bunte Republik Neustadt (BRN) wieder abgesagt wurde, entschloss sich kurzerhand die Gruppe HOPE mit einer Tanzdemo die Antifaschistische Republik Neustadt (ARN) auszurufen. Für die Demo, die am 17. Juni stattfand, haben sich die Organisatoren im Vorfeld Unterstützung vom Awareness Kollektiv Dresden geholt. Zusammen ist man dann bei den „Eindeutige[n] No-Go´s“, zu denen natürlich auch Antisemitismus gehört, auf folgendes gekommen: „Flaggen von Nationen und staatlichen Strukturen“. Bei aller Allgemeinheit ist allen doch klar, dass damit nur die Israelfahne und IDF-Shirts gemeint sein können – denn als ob sich jemand mit Deutschland-Fahne oder Bundeswehruniform auf die Demo verirren würde. Überraschend ist dieses nicht nur aus der Zeit gefallenen No-Go trotzdem. Denn die Frage ist mehr als erlaubt: Warum die Fahne für eine sichere und nazifreie Neustadt ein Problem sei? Vielmehr ist eher die Gegenfrage zu stellen: Wie sicher ist es nachts mit Kippa oder Israelshirt in der Neustadt? Außerdem holt man dieses Verbot wieder aus der Mottenkiste, wo es eigentlich keine dezidiert israelsolidarischen oder antideutschen Gruppen mehr in Dresden gibt und man selbst zum 13. Februar Nationalflaggen lange suchen kann.

Dennoch hat sich auch die Queer Pride Dresden nicht lumpen lassen, ein ähnliches No-Go auszusprechen. Hier liest es sich folgendermaßen: „Stonewall was a riot – gegen Repression! Bitte verzichte auf Polizei/Armee-Logos und Waffen auf deinem Outfit. Kein Platz für Rassismus, Sexismus, Querfeindlichkeit und Antisemitismus! Nationalflaggen sind nicht erwünscht.“ Auch wenn die hiesige Pride nicht mit antisemitischen und israelhassenden Schaulaufen in Berlin gleichzusetzen ist, bekommt es gerade dadurch mehr als nur ein Geschmäckle. Scheinbar ist man nicht in der Lage oder schlimmer nicht willens sich mit den Problemen in der eigenen Szene auseinanderzusetzen. Ob man bündnisfähig bleiben oder internationale Partner nicht verschrecken will – über die Gründe kann nur spekuliert werden. Sollte damit in Dresden ein neualter Trend zu beobachten sein, kann es in jedem Fall nur heißen: Holt eure Israelfahnen aus der Schublade und nehmt sie mit zur nächsten Demo!



Gegen die Verelendung – ein Nachtrag zum Tod von Arno Dübel – 17. August 2023

Vor wenigen Monaten starb der chronisch lungenkranke Arno Dübel, woraufhin es sich die BILD nicht nehmen ließ, ihn mit den Worten „Er war Deutschlands frechster Arbeitsloser“ zu verabschieden. Dass sich das Blatt aus dem Hause Springer diese Bemerkung nicht verkneifen konnte, verwundert wenig. Sie kann und konnte sich auch schon früher nicht nur der Zustimmung ihrer Leserschaft sicher sein, sondern ebenso in den Lagern von FDP bis SPD, von AfD bis Linke lässt sich mit dem Zorn oder besser gesagt dem Hass auf die vermeintlich Faulen und Asozialen Stimmung machen. Joachim Bruhn hat diesen Hass vor 30 Jahren mit Blick auf das Pogrom von Rostock Lichtenhagen treffend analysiert: „Im Bild des Asozialen setzen der Staat und seine Öffentlichkeit das Schreckbild des nutzlosen und des so wenig kapitalproduktiven wie staatsloyalen Essers in Szene, das unmittelbar an das kollektiv beschwiegene Bewußtsein der Überflüssigkeit des je Einzelnen für den Fortgang der Akkumulation appelliert.“ Und weiter heißt es bei Bruhn: „Die ´antiziganistische´ und erst recht antisemitische Projektion erläßt ex negativo den Befehl, sich nützlich zu machen, vorauseilenden Gehorsam zu beweisen, dem Kapital und seinem Staat die geheimsten Wünsche abzulesen; der staatsfeindliche Gesetzbruch, der Anschlag auf Leib und Leben der ´Asozialen´ demonstriert dem Staat, daß er sich auf sein Volk verlassen kann. Volksgemeinschaft soll die höchsteigene Asozialität überdröhnen.“ (Bruhn: Was deutsch ist, S. 131.) Und für die Medienhäuser und Talkshows bot sich wie kein zweiter Arno Dübel, der bereitwillig seine „provokanten“ Aussagen in die Kameras sprach oder in die Notizblöcke diktierte, als perfekte Projektionsfläche für diesen Hass als Schreckbild an.

So weit, so schäbig und wenig überraschend. Verwundert musste man jedoch viel mehr (vor allem auf Social Media) feststellen, wie sehr Arno Dübel auch bei sich emanzipatorisch dünkenden als Projektionsobjekt herhalten muss. So sehr der „Star-Arbeitslose“ (taz) sich nicht gemein machen wollte mit den Zumutungen der Arbeitswelt, so sehr lässt sich aber auch über das, was über sein nicht gerade sehr langes Leben bekannt ist, keine bessere Bezeichnung als trostlos finden. Wieso er deshalb als eine Art Held gesehen wird, nur weil er etwas durchgezogen hat, was sich viele vielleicht wünschen, aber nicht trauen, es selber zu tun: das ganze Leben nicht zu arbeiten. Die meisten, denen Arno Dübels praktische Kritik am (deutschen) Arbeitsfetisch für freudige Gänsehaut sorgt, sind sich dann doch bewusst, dass die Verehrung und Abfeierei von Dübels Leben viel schöner und sicherer ist, als dessen Leben zu leben. Denn bei aller Kritik des Arbeitsfetisch und ohne dem bürgerlichen Glücksversprechen voll auf den Leim zu gehen, erhält es doch auch wahre Momente, bedeutet Arbeit in dieser Gesellschaft größere Möglichkeiten an Teilhabe.

Weil man also insgeheim froh ist, nicht das Leben eines Arno Dübel führen zu müssen, wird die Ergötzung an seinem tristen Leben noch fragwürdiger. Sicherlich kann man ganz froh sein, dass der Hamburger im Gegensatz zur Köthener Familie Ritter ein paar Powersätze vom Stapel gelassen hat. Dennoch ist der Vergleich zur ähnlich prominenten Familie Ritter nicht so weit hergeholt. Lässt sich nämlich sicherlich etwas von Andreas Reschkes Beschreibung in der bonjour tristesse über die Familie Ritter auch auf Arno Dübel übertragen – auch wenn dieser noch die verhaltenen Vorzüge des Sozialstaats westdeutscher Prägung mitnehmen konnte:

„Seit nunmehr 23 Jahren besucht der Fernseh-Hochkaräter Stern TV die Familie und dokumentiert das Elend eines Milieus, das von der Gesellschaft seit Generationen abgehängt ist und es vor allem auch bleibt. […] Dass die Jungs der Familie keine linksakademischen Plaudertaschen geworden sind, sondern drogen- und alkoholabhängige Schläger mit zum Teil langjährigen Haftstrafen, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Kommune und Staat diese Familie abgeschrieben haben. Weder das zuständige Jugendamt noch Sozialarbeiter oder das Sozialamt haben wirksam eingegriffen, um den Kreislauf aus materiellem und geistigem Elend zu unterbrechen. […] Die Familie und die Nachbarn im Obdachlosenheim warten schon seit Jahren auf eine Dusche, das Wohnhaus ist abbruchreif, und die Bewohner sind chancenlos, diesen Verhältnissen zu entfliehen.“ (Reschke: Köthener Jungs, in: bonjour tristesse (2018) 23)

Überwog bei der Familie aus Köthen der Hohn und Spott, über deren stumpfes, von Alkoholexzessen geprägtes und gewaltvolles Leben vor allem deshalb, weil sich die Familienmitglieder aufgrund ihrer Verrohrung und des Versagens auf allen staatlichen Ebenen zu Nazischlägern entwickelten, ist zwar über Arno Dübel nicht bekannt, dass er sich auch nur annähernd so verhalten hätte, aber bleibt der linke oder linksakademische Voyeurismus bzw. „Unterschichtenporno“ der gleiche. Im Vergleich dazu sind die Zeilen Oscar Wildes – die wirklich in einer Zeit entstanden sind, in der für die meisten Linken der „neue Mensch“ vor allem ein stählener Arbeiter war – um ein Vielfaches sympathischer:

„Allerdings haben unter den bestehenden Verhältnissen ein paar Männer, die im Besitz von Privatmitteln waren, wie Byron, Shelley, Browning, Victor Hugo, Baudelaire und andere, ihre Persönlichkeit mehr oder weniger vollständig verwirklichen können. Keiner von diesen Mänern tat je ein Tagwerk um des Lohnes willen. Sie waren der Armut ledig. Sie hatten einen ungeheuren Vorteil. […] Bedauern muß man, daß die Gesellschaft so aufgebaut ist, daß der Mensch in eine Grube gezwängt ist, wo er nichts von dem frei zur Entfaltung kommen lassen kann, was Schönes und Bannendes und Köstliches in ihm ist – wo er tatsächlich die wahre Lust und die wahre Freude am Leben entbehrt.“ (Wilde: Der Sozialismus und die Seele des Menschen, S. 17ff.)